Sommerinterview 2019: „Ich bin niemand, der nach Glauben arbeitet“

Nicht mehr lange, dann ist Ilmenaus Oberbürgermeister Daniel Schultheiß ein Jahr lang im Amt. Nun stellte er sich den Fragen von Freies Wort im Sommerinterview.

Nicht mehr lange, dann ist Ilmenaus Oberbürgermeister Daniel Schultheiß ein Jahr lang im Amt. Im Sommerinterview von Freies Wort spricht er unter anderem über die Stadtratswahl, die Chancen einer zentralen Vergabe der Kita-Plätze in der Stadt sowie die Notwendigkeit, Ilmenau zur Smart City zu machen.


Ilmenaus Oberbürgermeister Daniel Schultheiß stellte sich im Wenzelschen Garten in Ilmenau den Fragen von Freies Wort . Foto: b-fritz.de

Die Stadtratswahl ist jetzt über einen Monat her: Im Gegensatz zur OB-Wahl waren Sie selbst persönlich nicht involviert. Wie entspannt konnten Sie diese Wahl also verfolgen?

Daniel Schultheiß: Ich konnte sie sehr entspannt verfolgen. Von Anfang an war für mich klar, dass ich nicht selbst kandidiere. Mein eigener Wahlkampf war erst ein halbes Jahr her. Dauerhaft schafft man sowas auch gar nicht. Daher habe ich diese Wahl tatsächlich mit der nötigen Entspannung aus der Distanz einfach beobachtet.

Sie betonen immer wieder, dass Sie ein überparteilicher Oberbürgermeister sind. Dennoch wurden Sie damals von einem Wahlbündnis gestützt. Wie sehr müssen Sie noch heute, fast ein Jahr danach, darauf achten, alle Bedürfnisse in diesem Wahlbündnis zu erfüllen?

Die Themen, die wir damals aufgestellt haben, waren keine, zu denen ich mich habe breitschlagen lassen. Die thematische Überschneidung war so groß, dass es nur konsequent war, dieses Bündnis zu etablieren. Daher bearbeite ich diese Themen auch jetzt noch sehr gerne weiter. Ich fühle mich in keiner Weise unter Druck gesetzt. Unbenommen davon gilt, dass ich mit allen Stadtratsfraktionen offen rede – mit denen, die im Wahlbündnis waren und auch mit denen, die es nicht waren. Das halte ich für die ehrlichere Variante, als jedem etwas anderes zu erzählen und dann von jedem andere Sonderwünsche angetragen zu bekommen. Da würde man sich verrennen. Und das habe ich derzeit noch nicht vor (lacht).

Ihre politische Heimat, Pro Bockwurst, hat es sich zur Aufgabe gemacht, in dieser Legislatur die Mutterrolle für alle übriggeblieben Kleinstparteien zu übernehmen. Wie schwer ist es, dieses aus drei politischen Wählergruppen, in denen es mitunter auch markante Persönlichkeiten gibt, zusammengesetzte Bündnis fünf Jahre lang zusammenzuhalten?

In der Frage waren mehrfach schöne Formulierungen. Das ist natürlich eine andere Herausforderung für Gunther Kreuzberger, so eine große Fraktion zu führen. Ich glaube aber auch, dass er dem gewachsen ist. In erster Linie geht es darum, strukturiert zu arbeiten, miteinander zu kommunizieren und am Ende gleiche Ziele zu vertreten. Da geht es aber anderen großen Fraktionen, die mitunter nur aus einer Partei bestehen, nicht anders. In der CDU/FDP-Fraktion beispielsweise sind auch viele starke Persönlichkeiten vertreten. Da ist die Aufgabe sicherlich nicht einfacher.

Was mittlerweile schon über ein Jahr her ist, ist die Vergrößerung Ilmenaus. Wenn man als Außenstehender durch das neue Ilmenau fährt und keine Ahnung davon hat, dass es erst vor ein paar Monaten eine Gebietsreform gab, merkt man mittlerweile doch gar nicht mehr, dass Ilmenau erst kürzlich so groß geworden ist, oder?

Es gibt schon immer ein paar Wehwehchen, die ich auch nachvollziehen kann – und die mir auch leid tun. Erst jetzt am 1. Juli haben ja die neuen Straßennamen und mitunter auch die neuen Hausnummern Gültigkeit erlangt. Wieder müssen die persönlichen Dokumente geändert werden, eventuell brauchen die Bürger auch ein neues Hausnummern-Schild. Und dann fragen sie, wer ihnen das bezahlt. Das können wir als Stadt natürlich nicht, weil wir nur dazu verpflichtet sind, die gesetzlichen Gegebenheiten umzusetzen. Wir haben aber versucht, offen mit allen zusammenzuarbeiten – und das auch bei allen anderen Themen, die die neuen Ortsteile betreffen. Wir wollen so niedrigschwellig wie möglich zusammenarbeiten.

Kommen wir zum aktuellen Tagesgeschehen: Elternvertreter haben zur jüngsten Stadtratssitzung einen Brief und eine Unterschriftensammlung an Sie übergeben und verschiedene Forderungen aufgemacht, wenn es um die Kitas in der Stadt geht: Eine Forderung ist eine zentrale Kita-Platz-Vergabe. Wie soll das funktionieren?

Das Thema wabert schon eine ganze Weile. Wir als Stadt hatten uns ohnehin schon dazu entschlossen, diese Problematik anzugehen und es daher auch schon in den aktuellen Haushaltsplan eingepreist. Mittlerweile ist das zuständige Fachamt so weit, kurz vor einer Entscheidung zu stehen, welches System wir letztendlich verwenden. Dazu bedarf es natürlich einer technischen Lösung. Darüber können sich die Eltern dann anmelden. Im Idealfall geschieht das online. Diejenigen, die sich das nicht zutrauen – wobei ich mir das für diese Generation nicht vorstellen kann – bekommen Unterstützung durchs Amt.

Aber wie könnte so eine Umsetzung dann in der Praxis aussehen?

Wir haben es zwar noch nicht ganz bis zum Ende durchdekliniert, aber wir können es mal exemplarisch durchgehen: Die Eltern geben Prioritäten für die Kindergärten an. Also beispielsweise die Kita Stephanie auf die 1, ein freier Träger auf die 2 und die Purzelbäume auf die 3. Nach Eingang aller Anmeldungen kann das System nahezu automatisch aufgrund der Priorisierung einen Vorschlag unterbreiten.

Und das ist in welcher Hinsicht dann ein Vorteil für die Eltern?

Es gibt dann keine Doppelanmeldungen mehr. In dem gerade aufgeführten Beispiel hätten sich die Eltern bei drei Einrichtungen angemeldet. Damit vermeiden wir gewissermaßen auch eine Unsicherheit bei den Eltern. Die denken, es gibt einen Engpass – der ja auch nicht von der Hand zu weisen ist. Diese Unsicherheit versuchen sie aber aufzufangen, indem sie sich an verschiedenen Einrichtungen anmelden; merken aber nicht, dass das die eigene Unsicherheit de facto am Ende wieder erhöht, weil die Einrichtungen natürlich nichts von den Mehrfachanmeldungen wissen und plötzlich zu viele Anmeldungen haben und keine sicheren Zusagen mehr machen können. Wir drehen uns damit aktuell komplett im Kreis. Die zentrale Vergabe würde das Problem lösen.

Eine andere Forderung ist es, die Ausbildung und die Arbeitsbedingungen der Erzieherinnen und Erzieher besser zu gestalten. Wo hat die Stadt da überhaupt einen Einfluss?

Nirgends. Das, was wir als Stadt im Bereich der Ausbildung machen können, tun wir bereits. Wir versuchen beispielsweise, die Jahrespraktikanten für unsere Einrichtungen zu gewinnen, was schon ein Bindungsfaktor sein kann. Ansonsten muss man das alles mindestens eine Ebene höher ansiedeln. Wenn wir aber Probleme erkennen – das ist beim Ausbildungsthema der Fall – geben wir unsere Erfahrungen aber auch an die politischen Akteure im Land weiter.

Viel diskutiert werden auch immer die Straßenausbaubeiträge. Linke-Landtagsabgeordneter Frank Kuschel hat der Verwaltung jetzt vorgeworfen, Ängste bei den Bürgern zu schüren und mit falschen Zahlen zu arbeiten. Mit den 23,5 Millionen Euro, die die Landesregierung für die Kommunen eingeplant hat, sei man auf der sicheren Seite. Glauben Sie das?

Wenn das so ist, ist es doch in Ordnung. Gerade der Vortrag im Stadtrat bezog sich nur indirekt auf die Ausfinanzierung der Stadt, sondern in erster Linie sollte dargelegt werden, wie wir unter Vorlage des aktuellen Gesetzesentwurfs unserer Pflicht nachkommen und die Beiträge erheben. Wenn aus Landessicht keine Zweifel bestehen, dass wir das Geld am Ende wieder reinkriegen, das uns verloren geht, ist das umso besser.

Also glauben Sie, dass das Geld, das später vom Land kommen soll, ausreichen wird?

Ich bin niemand, der nach Glauben arbeitet. Meine Bitte pauschal an das Land wäre, dass die finanzielle Ausstattung so ausfällt, dass wir wie bisher weiterarbeiten können.

Frank Kuschel hat auch erklärt, dass die Landesregierung eigentlich geplant hatte, dass auch die jetzt noch offenen Beiträge nicht mehr durch die Bürger hätten gezahlt werden müssen, sondern diese vom Land übernommen werden sollten. Der Städte- und Gemeindebund, so Kuschel, sei aber dagegen gewesen. Welche Stellungnahme hatte Ilmenau dazu abgegeben?

Für uns wäre es einfacher gewesen, das nicht mehr bei den Menschen abzurechnen. Garantiert hat die Stadtverwaltung Ilmenau nicht eingefordert, dass wir das noch abrechnen dürfen. Wie da der politische Entscheidungsweg zustande kommt, ist nicht immer klar.

Ilmenau sieht sich in den nächsten Jahren mit zwei Themen konfrontiert, die in dieser Art völlig neu sind. Eines ist das Smart-City-Konzept. Das klingt hoch modern. Wenn man den demografischen Wandel vor Augen hat: Sind das überhaupt die richtigen Lösungen, um die ältere Generation zu erreichen?

Unbedingt. Das Konzept „Smart City“ heißt nicht, dass wir alles um jeden Preis digitalisieren und den Menschen in den Hintergrund stellen. Es ist das genaue Gegenteil. Der Mensch soll im Vordergrund stehen und mit Hilfe von digitalen Technologien, die er im Idealfall nicht einmal selbst bedienen muss, Erleichterung erfahren. Beispielsweise bei der Erreichbarkeit der Verwaltung oder der Mobilität. Letzteres ist da gerade für eine so gewachsene Kommune wie Ilmenau der Schwerpunkt. Das betrifft gerade den ländlichen Raum und die älter werdende Bevölkerung.

Das andere Thema ist der Tourismus. Ihre Aussage, dass dies nicht Ilmenaus Haupteinnahmequelle ist, haben – ob nun bewusst falsch verstanden oder nicht – für eine gewisse Unruhe gesorgt. Stehen Sie noch zu dieser Einschätzung?

Ich hatte gesagt, dass wenn man ganz ehrlich ist und die nackten Zahlen nimmt, der Tourismus keiner der großen Wirtschaftsfaktoren in Ilmenau ist. Natürlich wurde ich bewusst falsch verstanden, weil die Antwort darauf gar nicht mehr mit meiner Aussage übereinstimmend war. Das ist aber in Ordnung, das passiert in diesem Geschäft. Aber wir haben das Zahlenmaterial dazu nunmal vorliegen und an dieser Aktenlage hat sich auch nichts geändert. Wohl geändert hat sich aber unser Stadtgebiet mit dem 1. Januar.

Für Frauenwald und Stützerbach muss man sich doch aber was überlegen…

Natürlich. Auch Manebach fällt da mit rein. Die Bevölkerung dort ist zu überproportional großen Teilen im Tourismus tätig und lebt davon. Dem werden wir natürlich Rechnung tragen. Zum einen durch die Arbeit der Stadtverwaltung. Aktuell begleiten wir beispielsweise das Gemeindeentwicklungskonzept für Stützerbach sehr konstruktiv. So wird das auch für Manebach und Frauenwald passieren. Zum anderen – und da herrscht fraktionsübergreifend Konsens – wird das Thema jetzt auch in einem Ausschuss nochmal hervorgehoben. Bis dato war Tourismus so ein bisschen im Kultur- und Sportausschuss angesiedelt. Da sehe ich es in diesem Umfang nur bedingt. Im Wirtschafts-, Umwelt- und Verkehrsausschuss ist er besser aufgehoben. Zumindest bis man eventuell feststellt, dass der Arbeitsumfang so groß ist, dass man das nochmal aufteilen muss.

Während der konstituierenden Sitzung der Fachausschüsse haben sich wirklich alle Fraktionen in allen öffentlich tagenden Ausschüssen dafür ausgesprochen, künftig mit berufenen Bürgern arbeiten zu wollen. Warum eigentlich so spät?

Ich finde das auch ganz spannend. Seit ich in der kommunalen Arbeit bin, war eine meiner zentrale Forderungen immer, die Menschen, so weit es geht, einzubeziehen. Kurt Retzlaff hat das sehr gut auf den Punkt gebracht, indem er sagte, je früher ich die Menschen konstruktiv einbeziehe, umso geringer sind die Probleme, die auftreten, wenn sich Menschen nicht mitgenommen fühlen. Daher freue ich mich über diese Entwicklung.

Aber warum plötzlich jetzt?

Ich glaube, in der Aussage eines Mitglieds der CDU-Fraktion in der ersten Ausschusssitzung kann man eine Erklärung finden. So soll vielleicht Menschen noch ein Ehrenamt gegeben werden, die nicht gewählt worden sind oder um Nachwuchsarbeit zu machen. Womöglich liegt der Grund wirklich im Wahlergebnis. Wenn ich es positiver interpretieren will, würde ich sagen, dass die anderen Fraktionen jetzt auch entdeckt haben, mit den Menschen zu arbeiten und nicht an ihnen vorbei.

Die letzte Frage ist wie jedes Jahr für alle dieselbe: Wie steht Ilmenau nach dieser frisch begonnenen Legislaturperiode da?

Wir haben große Herausforderungen vor uns. Zahlreiche Bauprojekte sind angefangen, die nach diesen fünf Jahren sicherlich abgeschlossen sind und das Stadtbild prägen werden. Wir werden dann aber auch die Fragen – zumindest im Ansatz – beantwortet haben, wie wir die Verwaltung intelligenter, einfacher und niederschwelliger gemacht haben. Wir müssen die Menschen noch mehr in den Mittelpunkt stellen und alles dafür tun, dass ihre Bedürfnisse so leicht wie möglich erfüllt werden können. Das ist die große Aufgabe für diese Zeit.

Interview: Danny Scheler-Stöhr für Freies Wort





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